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Was Yoga bzw. Hatha Yoga war und ist, wo es herkommt und wie es sich entwickelt hat, ist höchst komplex und teilweise umstritten. Insbesondere die Frage der Herkunft und Entwicklung kann schwer in ein paar Absätzen geklärt werden, ohne inhaltlich grob zu verkürzen. Der folgende Überblick über (Hatha) Yoga und seine Geschichte ist daher höchst unvollständig.
yoga vs. hatha yoga: begriffsdefinitionen
Yoga: Der Sanskrit-Begriff "Yoga" taucht erstmals in einem Teil der Upanishaden auf, der (wahrscheinlich) im 3. Jh. vor Christus entstand. Ethymologisch betrachtet kommt "yoga" von "yui", was "verbinden" oder "Joch" bedeutet. Kurz gesagt handelt es sich bei der Praxis von Yoga um eine Disziplin, die die Einheit mit dem Kosmos anstrebt. Als Mittel, um diese Einheit zu erreichen, werden je nach Textquelle und Tradition die verschiedensten Wege beschrieben: Meditation (Geisteskontrolle), Gebet, selbstloser Dienst, philosophische Schulung...
Hatha Yoga: Der Begriff "Hatha Yoga" taucht erst in mittelalterlichen indischen Schriften auf. "Hatha" bedeutet "kraftvoll", könnte aber auch eine Zusammensetzung der Silben "Ha" und "Tha" - Sonne und Mond - sein. So gesehen war die ursprüngliche Hatha Yoga Praxis also eine Praxis der Erlangung von Kraft, eine "kraftvolle" Praxis, oder eine Praxis für die Vereinigung von Gegensätzen (und damit der Ganzwerdung).
Eine wichtige Neuheit in Schriften zum Hatha Yoga ist in jedem Fall, dass darin die Bedeutung des Begriffes Asana (des "Sitzes") nicht mehr rein auf den Meditationssitz beschränkt bleibt, sondern zwischen 4 und 34 verschiedene Asana beschrieben werden. Weitaus größeres Gewicht als die Asanas haben allerdings die (physischen und energetischen) Reinigungspraktiken und Atemübungen
der mythos: hatha yoga heute als jahrtausende alte praxis
Die Ansicht, dass Hatha Yoga, wie es heute praktiziert wird - also Hatha Yoga als die mehr oder weniger ausschließliche Übung von Asanas - eine jahrtausende alte, original bzw. ausschließlich indische Praxis sei, ist weit verbreitet. Viele Menschen sind überzeugt davon, ihre modernen Übungssequenzen seien in alten Schriften zu finden und von Guru zu Schüler über die Jahrtausende mehr oder weniger unverfälscht weitergereicht worden. Solche Schriften wurden allerdings bis heute nicht nachgewiesen. Im Yoga Sutra (2. Jh. nach Christus), das in vielen Traditionen als eine der grundlegenden Textquellen für die Praxis des (Hatha) Yoga gilt, findet sich zu Asana nur ein einziger, kurzer Satz: "Der Sitz (die Haltung) sei stabil und angenehm (süß) zugleich". In den mittelalterlichen Schriften zu Hatha Yoga werden zwischen vier und immerhin vierundreißig Haltungen beschrieben -; ein Großteil davon allerdings sitzend, und dynamische Sequenzen, wie sie heute so gerne geübt werden (z.B. Sonnengrüße), werden gar nicht erwähnt.
die realität: hatha yoga heute als relativ moderner kulturenmix
Hatha Yoga im alten Indien: Die frühesten Schriften zu Hatha Yoga stammen wie gesagt aus dem mittelaltelichen Indien. In ihnen hat die physische Praxis tatsächlich einen neuen, hohen Stellenwert - aber weitaus mehr Gewicht als die nur sehr knapp beschriebenen Asanas hat die Energiearbeit. Die
Hatha Yogis selbst hatten in Indien über viele Jahrhunderte hinweg einen äußerst schlechten Ruf; sie galten als böse Zauberkünstler, als Betrüger, die Kinder stehlen und Frauen verführen etc. Viele Hatha Yogis arbeiteten als Söldner und später, als die Briten Indien kolonialisierten und das Söldnertum unterbanden, als Trickbetrüger. Die ersten Yogis, die Ende des 19.Jh. in den Westen kamen, traten als dezidierte Gegner des Hatha Yoga auf und sprachen dem Üben von Asanas meist sehr explizit nicht nur jeglichen spirituellen Wert sondern auch Moralität ab.
Spirituelle / einheitliche Gymnasiksysteme im Westen:
Im Westen hatten sich im 19. Jh. - völlig unabhängig von Indien - mehrere verschiedene Gymnastiksysteme herausgebildet. Viele von ihnen verfolgten den Zweck, Körper, Geist und Seele als Einheit stärker, gesünder und glücklicher zu machen. Sie enthielten nicht nur physische Übungen (die den angeblich genuinen Hatha Yoga Asanas bis aufs Haar gleichen), sondern auch Atemübungen. Diese westlichen Übungssysteme wurden von den Briten schießlich nach Indien exportiert und dort in der Bevölkerung verbreitet.
Wiederbesinnung auf die eigenen kulturellen Wurzeln in Indien:
Im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen ihre Kolonialisierung besannen sich die Inder auf ihr kulturelles Erbe und begannen, die alten Schriften zum Hatha Yoga zu studieren. Sie entwickelten ein eigenes, neues physisches Übungssystem. Dieses wurde zwar "Yoga" bzw. "Hatha Yoga" genannt, war aber nicht nur von den alten Hatha Yoga Schriften, sondern ganz wesentlich auch von den europäischen Körperertüchtigungsprogrammen geprägt. Zusätzlich wurden andere indische, dem ursprünglichen Hatha Yoga aber mit relativer Sicherheit völlig fremde Elemente - z.B. die Sonnengrüße - hinzugefügt. Diejenigen Elemente, die wahrscheinlich den Mittelpunkt der ursprünglichen Hatha Yoga Praxis darstellten (die Energiearbeit), wurden dagegen auf ein Minimum reduziert oder ganz verworfen. Es war diese Mischung aus westlicher Praxis und einer überarbeiteten und teilweise stark veränderten indischen Praxis, die Mitte des 20. Jh. in den Westen re-importiert wurde. Dort vermischte sie sich erneut mit westlichen Übungsprogrammen, und zwar vor allem mit den neueren Gymnastikprogrammen, die hauptsächlich für Frauen konzipiert bzw. von Frauen geübt wurden.
Zusammenfassung: Verschiedenste, "Yoga" genannte Wege Einheit zu erreichen, gab es in Indien mit wahrscheinlich schon lange vor zweitausend Jahren. Das Üben von einer größeren Anzahl an Körperhaltungen ist allerdings mit relativer Sicherheit keine Jahrtausende alte Praxis. Es ist ein ziemlich neues Phänomen, das erstmals im Mittelalter in Schriften über "Hatha Yoga" Erwähnung findet. Aber selbst dort bilden die Asanas nur einen relativ kleinen Teil des Programms. Und was heute als Hatha Yoga geübt wird, hat definitiv keine direkte, ununterbrochene Verbindung zu diesem mittelalterlichen Hatha Yoga. Was heute als Hatha Yoga geübt wird, entstand durch die (mehrmalige) Vermischung und Weiterentwicklung bzw. Abänderung indischer und westlicher Körperertüchtigungssysteme und ist in dieser neuen Form nicht mehr als hundert Jahre alt.
hatha yoga heute: was kann das alles sein?
Hatha Yoga heute ist kein einheitliches Phänomen. Es existiert in unterschiedlichsten Stilen und mit unterschiedlichsten Ansprüchen, was seine spirituelle Dimension betrifft. Gemeinsam haben moderne Hatha Yoga Stile, dass sie den Fokus auf die physische Praxis legen: auf Asanas (Haltungen) und Pranayama (Atemübungen). Wie genau als "Hatha Yoga" bezeichneter Unterricht gestaltet sein wird (dynamisch oder statisch, anstrengend oder entspannend, mit spirituellen Instruktionen oder ohne etc.), können Sie nur dann vorher wissen, wenn Sie die Lehrerin vorher fragen. Wird der Hatha Yoga Unterricht dagegen mit einem bestimmten Beinamen versehen (z.B. "Jivamukti Yoga" oder "Ashtanga Yoga"), dann sagt Ihnen das, dass ein ganz bestimmter Stil des Hatha Yoga geübt wird. Egal zu welcher Lehrerin Sie gehen, wird der Unterricht relativ verlässlich die stilspezifischen Merkmale aufweisen.
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